Der erste letzte Tag Kein Thriller by Sebastian Fitzek

Der erste letzte Tag  Kein Thriller by Sebastian Fitzek

Autor:Sebastian Fitzek [Fitzek, Sebastian]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Roman
ISBN: 9783426462522
Herausgeber: Knaur e-books


22. Kapitel

Was zum …?«

»Frag nicht.«

»Aber …?«

»NEIN!«

Ich konnte ihr die entsetzte Miene nicht verdenken. Auch das Hupkonzert der Fahrer hinter uns konnte ich nachvollziehen. Die mussten sich schon geraume Zeit fragen, warum die vierrädrige Mülltonne vor ihnen nicht wenigstens zur Seite rollte, jetzt, da es in der Baustellenverengung endlich weiterzugehen schien. Der Wohnwagen war verschwunden, die Fahrbahn vor uns so leer wie ein deutsches Impfzentrum im zweiten Lockdown. Waren wir noch vor Kurzem das Stauende gewesen, waren wir jetzt der Anfang.

»Aber du hast keine …«

»Ja, ich weiß. Ich habe keine Hosen an«, schnauzte ich sie an und startete den Motor.

Wie heißt es so schön? Man hat nie wieder eine zweite Chance, einen ersten Eindruck zu hinterlassen.

Nun, alle Stauteilnehmer, die mich gerade zum ersten Mal aus ihren Fahrzeugen heraus gesehen hatten, mussten mich für einen durchgeknallten Exhibitionisten halten. Und zu allem Überfluss schien der auch noch für den Stau verantwortlich zu sein. Wie sonst sollten sie es sich erklären, dass nach fünfminütigem Hupprotest (einige waren sogar ausgestiegen) plötzlich ein halb nackter Irrer in Unterhose auf allen vieren am Seitenstreifen auf die Leitplanke zugekrochen kam? (Ich pfiff aus dem letzten Loch, nachdem ich das beschwerte Hosenbein tatsächlich in der Astgabelung platziert und mich daran hochgezogen hatte.)

Lea hatte mich in meinem FKK-Outfit erst nicht erkannt, auch weil ich während meiner Reinhold-Messner-Imitationsversuche mehrfach mit dem Kopf in den Schnee eingetaucht war, was meinem Auge zwar kurzfristig gutgetan haben mochte, den Rest meines Gesichts nun aber wie rosa Kassler aussehen ließ. Sie hatte wohl befürchtet, ein Sittlichkeitsverbrecher wolle ihre Autotür abreißen, weswegen sie reflexartig die Verriegelung herunterdrückte. Was mich wiederum dazu brachte, halb wahnsinnig und vor Wut, Scham und Kälte zitternd meine Klamotten auf den Asphalt zu schmeißen und wie ein Berserker an der Fahrertür zu rütteln, bis Lea endlich Erbarmen mit mir hatte und mich einließ. Gerade noch rechtzeitig, bevor die Bürgerwehrtruppe, die sich hinter mir zusammengerottet hatte, der bedrohten Dame zu Hilfe kommen und mich mit einem Wagenheber den Abhang wieder zurückprügeln konnte.

Der Wagen sprang zum Glück sofort wieder an, und wir ruckelten los.

Eine kurze Zeit hielt Lea sich an meine Bitte, mich nicht weiter mit peinlichen Fragen zu löchern. Schon bald jedoch hielt sie es nicht mehr aus und entschied sich von allen Fragen, die ihr durch den Kopf gehen mochten, für die absurdeste: »Hast du wirklich im Sitzen gepinkelt?« Sie warf einen Blick auf die Rückbank, wohin ich Hose und Jacke geworfen hatte.

Ernsthaft? Sie glaubte tatsächlich, ich hätte mich nicht nur hinter den Baum gehockt, sondern dazu fast meiner kompletten Bekleidung entledigt? Na klar, warum auch nicht. Wo war es denn sonst so gemütlich wie in einem fußbodenbeheizten Wellness-Spa, wenn nicht bei minus zwei Grad hinter der Leitplanke, anderthalb Meter unterhalb einer Baustelle auf der A9?

Ich hätte nicht sagen können, ob ich vor allem wütend oder doch nur zutiefst erschöpft war. Frustriert passte eigentlich am besten, und so sagte ich: »Lea, bitte. Ich habe dich angefleht, mich wenigstens einmal fünf Minuten durchatmen zu lassen, doch auch das scheint schon zu viel verlangt. Ich weiß nicht, welche subtilen Zeichen ich dir noch senden soll.



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